Dienstag, 3. August 2010

Die Loveparade - Ein Trauerspiel des Journalismus

Zunächst sei hier auf die Artikel von Stefan Niggermeier, erschienen bei FAZ.net, und Klaus Deuse, erschienen bei dradio.de, verwiesen, die sich kritisch mit der Reflexion der Ereignisse der Loveparade in Duisburg 2010 durch die Medien auseinandersetzen und mich dazu veranlasst haben, meinen Hut ebenfalls in den Ring zu werfen, in dem sich die großen deutschen Zeitungen, Zeitschriften und Boulevardblätter bereits gegenseitig auf die Füße treten, im verzweifelten Versuch mit noch schockierenderen Bildern und Berichten und anklagenden Zeigefingern die Aufmerksamkeit der Leserinnen und Leser auf sich zu ziehen:



Es ist die Zeit der Trauer ... und der Selbstgerechtigkeit.

Wer die letzten Wochen mit Scheuklappen, den Blick starr zu Boden gesenkt und Vuvu-Stops in den Ohren durch die Stadt gelaufen ist oder aber fernab aller Massenmedien in der Natur zugebracht hat, wird nicht mitbekommen haben, dass es auf der Loveparade dieses Jahr zu einer verheerenden Massenpanik gekommen ist, durch die 21 junge Menschen auf tragische Weise ums Leben gekommen sind.

Was folgt ist die Trauer der Angehörigen und die Frage der Öffentlichkeit nach dem "Warum?". Wie konnte es zu solch einer Katastrophe kommen? Wurden Fehler gemacht? Mit nichts anderem ist die Polizei Duisburg, das Landeskriminalamt NRW, die Staatsanwaltschaft und die Stadt Duisburg beschäftigt. Allerdings nicht annähernd schnell genug, wenn es nach der Meinung der deutschen Medienlandschaft ginge. Bereits Stunden nach dem Unglück werden Ergebnisse erwartet, die einfach noch nicht erbracht werden können, will man mit klaren Fakten und nicht mit bloßen Mutmaßungen aufwarten.
Was tun also, um den ungeduldigen Leser bei der Stange zu halten? Die entfachte Sensationsgier will schließlich geschürt werden.

Also wandelt man die Frage: "Wie konnte das passieren?" um zu "Wem ist das eigentlich passiert?" Mit einer beispiellosen Schamlosigkeit werden die 21 Opfer ihrer Anonymität beraubt, Profile bei sozialen Netzwerken durchforstet, Bilder entwendet, trauernde Angehörige und Freunde auf der Jagd nach Informationen und Exklusivfotos belästigt, um dem wartenden Leser stolz ein umfassendes Bild der Toten präsentieren zu können. Warum? Damit er noch betroffener ist, damit er noch intensiver trauern kann? Mich würde es nicht wundern, wenn demnächst die ersten Journalisten über Blumenkränze hinwegtrampeln, nur um ein letztes Bild des Sarges im offenen Grab zu erhaschen.

Nachdem die Opfer benannt und jedes kleinste Detail ins Licht der Öffentlichkeit gezerrt wurde und sich immer noch keine Antwort auf das "Warum?" eingestellt hatte, fanden sich die Medien erneut vor einem Problem. Die Mühlen der Justiz mahlen gründlich, aber langsam. Also entschlossen sich einige Journalisten, dass Schnelligkeit vor Gründlichkeit zu setzen sei und begannen selbst auf die Jagd nach dem Schuldigen zu gehen.
Aus der Frage: "Wie konnte das passieren?" wurde die Frage: "Wer ist dafür verantwortlich?" eng verknüpft mit der Frage: "Wieso ist derjenige noch im Amt?".
Mit einer heuchlerischen Selbstgefälligkeit wurden Experten vor Kamera und Mikrofon gezerrt, die bestätigten, dass das Konzept der Loveparade gewaltige, ja geradezu jedem Laien (heutzutage auch BILD-Leserreporter genannt) offensichtliche Sicherheitsmängel hatte. "Ich/Wir haben es ja immer schon gewusst", schallt es von allen Seiten. Doch wo waren diese Experten bevor das Unglück geschah und vor allem welche Medien haben im Vorfeld über die drohende Gefahr berichtet? Das fragen auch Herr Niggermeier und Herr Deuse in ihren Artikeln. Fakt: Das Sicherheitskonzept der Loveparade wurde von anderen Experten im Vorfeld begutachtet und bewilligt. Zählt deren Sachkenntnis weniger?
Lautstark wird der Rücktritt des OBs der Stadt Duisburg gefordert. Er verteidigt seinen Widerstand gegen diese Forderung mit der Begründung, er wolle zunächst das Ergebnis der Untersuchung abwarten. Sollte diese gravierende Mängel im Sicherheitskonzept aufweisen, die von seiner Behörde dennoch bewilligt wurde, wird er die Konsequenzen ziehen und zurücktreten. Eine Erklärung, die recht vernünftig erscheint. Ein kühler Kopf, der so gar nicht in das Konzept der aufgeheizten Journalisten passt. Ein Sündenbock muss her. Sofort. Das zeugt von schnellen, konsequenten Maßnahmen auf der Jagd nach den Schuldigen und beruhigt die nach Gerechtigkeit dürstende Volksseele.
Man sieht, auch im Jahr 2010 ist die Hexenjagd noch nicht aus der Mode gekommen.

Fakt ist:
Es gab ein Sicherheitskonzept, das bewilligt und abgesegnet wurde.
Trotz dieses Konzeptes kam es zu einer Massenpanik mit Toten und Verletzten.
Noch ungeklärt ist die Frage: Ob die Massenpanik hätte verhindert werden können und wenn ja, wo die Maßnahmen des Sicherheitskonzeptes nicht oder unzureichend gegriffen haben.
Anschließend kann man sich mit der Frage beschäftigen, in wessen Verantwortlichkeit dieser Fehler fällt und welche Konsequenzen denjenigen zu erwarten haben.

Nüchtern betrachtet eine kurze, knappe Nachricht über ein schlimmes Ereignis, ähnlich einem Zug- oder Flugzeugunglück, dem weitere Informationen folgen werden, sobald neue Erkenntnisse gewonnen wurden.
Warum hat also dieses Ereignis ein so gewaltiges mediales Echo?
Der Grund ist so simpel wie erschreckend: Weil es so viel Material dazu gibt.
Neben den oben bereits erwähnten Experteneinschätzungen und Informationen/Bilder zu den Opfern, sind es vor allem die große Zahl Fotos und Videoaufnahmen, die - youtube sei's gedankt - teilweise noch vor den Zeitungsberichten bereits im Netz kursierten und die Nachfrage anheizten. Die Journalisten konnten auf eine große Masse an so genannten "Augenzeugen" zurückgreifen, die - selbst wenn sie kaum etwas gesehen haben - bereitwillig Auskunft gaben. Bilder von ohnmächtigen Menschen an einem Arm in die vermeintliche Sicherheit gezogen, verzweifelte Wiederbelebungsmaßnahmen einiger Sanitäter, waghalsige Kletteraktionen über Hindernisse und Mauern, panische, verwirrte, tränenüberströmte Gesichter in Großaufnahme.
Egal, wo man sich als Zuschauer zu dem Zeitpunkt befand, jedem sollte das Gefühl gegeben werden, nicht nur dabei, sondern mitten drin gewesen zu sein, so scheint es. Makaber, wenn man bedenkt, dass mittendrin der Ort ist, an dem so viele verletzt wurden und einige ums Leben kamen.

Bleibt zuletzt die Frage: "Wer ist schuld?"
Wer an dem Unglück in Duisburg schuld ist, bzw. ob man überhaupt daran jemand die Schuld geben kann, das wird die Staatsanwaltschaft klären ... irgendwann.
Doch wer trägt die Schuld an einer solchen Berichterstattung? Die Journalisten, die sich im Kampf um das Interesse des Lesers für nichts zu schade sind oder der Leser selbst, also wir, die wir das Grauen noch mit unseren Handykameras festhalten müssen, die wir nach Sensationen verlangen, die wir uns mit der nüchternen Wahrheit nicht zufrieden geben wollen?